Die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich, die nach dem 2. Weltkrieg entstanden ist, gilt als einzigartig und besonders angesichts dessen, dass die beiden Nationen sich bis dahin immer wieder in Kriegen als „Erzfeinde“ gegenübergestanden hatten. Nach dem 2. Weltkrieg haben die beiden Länder es trotzdem geschafft, sich anzunähern, sich zu versöhnen, sich gegenseitig kennenzulernen und diese besondere Freundschaft aufzubauen. Heute gelten Deutschland und Frankreich als gemeinsamer Motor Europas. Und auch zwischen Deutschland und Luxemburg sind über die Jahre enge Beziehungen entstanden und gerade das Saarland, das sowohl an Frankreich als auch an Luxemburg grenzt, hat durch seine Lage enge grenzüberschreitende Beziehungen zu den beiden Nachbarn aufgebaut.
Doch wie fragil ist diese Freundschaft in Krisenzeiten?
Nachdem im März 2020 die Grenzen von Deutschland aus zu Frankreich und Luxemburg wegen der Corona-Pandemie geschlossen wurden, heizte sich die Stimmung im Grenzgebiet stellenweise schnell auf. Es kam zu etlichen Vorfällen, bei denen Grenzgänger aus Frankreich und Luxemburg schlechte Erfahrungen mit ihren deutschen Nachbarn erlebten, angefeindet und beschimpft wurden und sich teilweise auch von der Bundespolizei an den Grenzübergängen schikaniert fühlten.
U.a. Bürgermeister dies- und jenseits der Grenze sahen schon früh eine Gefahr für die deutsch-französische Freundschaft, die seit dem 2. Weltkrieg mühevoll aufgebaut worden war. Sie versuchten mit Appellen wie „Die Grenzen schließen sich, aber nicht unsere Herzen“ der Stimmungsmache entgegenzutreten.
Wie sehr hat die Corona-Krise letztlich unsere deutsch-französischen und deutsch-luxemburgischen Beziehungen belastet und was sagt das über die Qualität unseres nachbarschaftlichen Zusammenhalts aus?
Am 16. März 2020 schloss Deutschland die Grenzen. Um die Ausbreitung des Coronavirus auszubremsen wurde der Grenzverkehr zu Frankreich, Luxemburg, Österreich, Dänemark und der Schweiz ab dem Tag stark eingeschränkt. Reisen ohne triftigen Grund waren ab dem Zeitpunkt zunächst nicht mehr möglich.
Das Saarland war durch die beiden Grenzen zu Frankreich und Luxemburg doppelt betroffen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte die gesamte französische Region Grand Est am 11. März als Risikogebiet eingestuft. Gleichzeitig wurde in Grand Est eine Ausgangssperre verhängt.
Die Bundespolizei beorderte eine Hundertschaft ins Saarland und begann die 35 offiziellen Grenzübergänge zu kontrollieren. Warenverkehr und Berufspendler konnten die Grenze weiter passieren, auch Urlauber durften heimkehren.
Gerade in der Grenzregion wurden dadurch auch Familien auseinandergerissen und die Krise brachte einige Schattenseiten der Menschen zum Vorschein. Es kam zu Anfeindungen und Ressentiments gegenüber Grenzgängern, Franzosen und Luxemburgern. Aber es gab auch eine große Welle der Solidarität.
Von der Coronapandemie war Lothringen besonders betroffen. Seit Beginn der Coronakrise und den Grenzschließungsmaßnamen hat die Kultur des Miteinanders zwischen Deutschland und Frankreich und zwischen Deutschland und Luxemburg zum Teil sehr gelitten. Vor allem in der Grenzregion wurden Ressentiments gegen die Nachbarn aus Lothringen wieder spürbar. Die plötzlichen Grenzkontrollen hatten für Emotionen gesorgt, außerdem Minister, die sich im Ton vergriffen haben. Viele Lothringer fühlten sich herabgesetzt.
Dazu kamen die Angst der Pendler um ihre Arbeitsplätze, der Unmut über die langen Staus an den Grenzen, die spürbaren Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft und die Kultur. Normalerweise füllen Zehntausende von Pendlern aus Frankreich und Luxemburg und sogar Belgien die saarländischen Innenstädte und sorgen für Millionenumsätze. Diese Umsätze blieben mit Sperrung der Grenzen und der Lockdowns aus. Gemeinsame grenzüberschreitende Kulturprojekte wie das Festival Perspectives mussten abgesagt werden.
Seit über 20 Jahren pflegen der Deutsche Helmut Zinsmeister und der Franzose Hervé Kieffer ihre Freundschaft. Normalerweise kommen sie Jeden Freitag direkt an der Grenze im Café de la Paix in Grosbliederstroff zusammen und reden bei einem Aperitif über "Gott und die Welt". Wegen Corona haben sie ein Jahr verloren, sagen sie. Beide haben noch die Zeit der Grenzen in Europa erlebt und beide dachten, dass es nie wieder Schlagbäume zwischen Deutschland und Frankreich geben würde. Wegen der Grenzschließung und deren Folgen sind sie sehr enttäuscht von den regionalen Politikern dies- und jenseits der Grenze.
Not macht erfinderisch.
An der Grenze zwischen Lauterbach und Carling ist er zu Hause: Der "Baguetteangler" Hartmut Fey, dessen Video um die ganze Welt ging. Als die Grenzen geschlossen waren. Als die Grenzen geschlossen waren, konnte er nicht wie gewohnt zu seiner französischen Bäckersfrau Myriam über die Grenze gehen und sein Sonntags-Baguette holen. Also ließ er sich etwas einfallen und angelte sein Brot herüber, ganz legal und mit Hygieneabstand.
Ein wichtiges Signal der Solidarität war das Angebot des Saarlandes, schwer erkrankte Patienten aus Frankreich zu behandeln.
Als die lothringischen Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen waren, nahmen Kliniken im Saarland im Frühjahr 2020 insgesamt 28 französische Patienten auf.
Als sich die Situation im Herbst wieder verschlimmerte, folgten im November weitere Patienten.
Die einseitigen Grenzschließungen seitens Deutschland waren für viele Franzosen und Luxemburger eine emotionale Belastungsprobe. Es entstand der Eindruck der Zurückweisung, als könne das Virus an der Grenze aufgehalten werden, wobei es längst zum weltweiten Problem geworden war. Es gab zwar auch Verständnis für die Maßnahmen, allerdings hätte man sich vor allem einen besseren Austausch und gemeinsame Abstimmung gewünscht. Sollten die Grenzen noch einmal geschlossen werden, würde es die Zerreißprobe für die Beziehungen zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg und für die europäische Idee bedeuten.
Tanja Michael, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Saar-Uni: "Man hätte sich eine bessere Kommunikation und mehr Augenmaß gewünscht. Glücklicherweise gab es viele Zeichen von Einzelpersonen, dass die Grenzschließungen bedauert wurden und man sich trotz Pandemie freundschaftlich verbunden fühlt. (…)
Ich gehe nicht davon aus, dass die Freundschaft langfristig durch die Grenzschließungen beschädigt ist. Dafür sind die Verbindungen zu eng und die Verflechtungen in der Grenzregion zu zahlreich. Allerdings ist es wichtig, dass das weitere Vorgehen bezüglich Maßnahmen zur Bekämpfung dieser oder folgender Pandemien besser abgesprochen wird. Dass die Grenzen in der zweiten Welle offen blieben war wichtig, und hat den Menschen Vertrauen zurückgegeben."
Die Coronapandemie hat auch gezeigt, wie eng die Länder Deutschland, Frankreich und Luxemburg eigentlich zusammenarbeiten. Die grenzüberschreitenden Verflechtungen sind über die Jahre immer intensiver geworden. Neben den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen sind viele gemeinsame Aktivitäten dies- und jenseits der Grenzen entstanden durch persönliche Kontakte, Freundschaften, gemeinsame Organisationen, Vereine, Netzwerke und Initiativen. Dass die Grenzschließungen einen Dämpfer für die guten Beziehungen bedeuteten, war deutlich. Was kann man aus den Fehlern lernen?
"Mitten auf der Straße habe ich die Grenze gefunden. Was hatte die da verloren?" Tja, was hat die da verloren, fragt der Lyriker und Filmemacher Alfred Gulden nicht nur in seinem Gedicht "Die Grenze", dessen Publikation und Nutzung er uns freundlicherweise erlaubt hat.
Mitten durch das kleine Dörfchen Leidingen im Saargau verläuft die deutsch-französische Grenze. Und hier findet sich auf dem Grenzblickfenster hinter der Kirche diese Schlusspassage aus dem dreisprachigen Gedicht "Die Grenze" von Alfred Gulden aus dem Jahre 1979 – und zwar jeweils auf moselfränkisch und in den offiziellen Landessprachen deutsch und französisch.
De Grenz
Van ween Europa!
Dat es denn Ais!
Dääa eascht woo dòò
Fäscht drofdreet,
Dääa brächt en!
Un dòch, dòch, dòch!
En Aanfang muß et gen!
Sonscht fend dii Dommhätt
Kääme Änn! Aam Änn
Gewennt se nòch!
(Wii emma...)
Am hällen Dach
Metten of da Gass
Han aich de Grenz
Gefon.
Wat hòtt dii dòò
Valooa?
Die Grenze
Von wegen Europa!
Das ist dünnes Eis!
Der erste der
Fest drauftritt
Der bricht ein!
Und doch, doch, doch!
Einen Anfang muss es geben!
Sonst findet die Dummheit
Kein Ende mehr! Am Ende
Gewinnt sie noch!
(Wie immer...)
Am helllichten Tag
Mitten auf der Straße
Habe ich die Grenze
Gefunden.
Was hatte die da
Verloren?
La frontière
Penses-tu, l´Europe!
C´est de glace si mince!
Le premier qui
marche dessus
de tout son poids s´enfonce.
Et malgré tout!
Il faut qu´il y ait un début!
Sinon la bêtise sera sans
Fin! Elle finira
Par gagner quand-même!
(Comme toujours ...)
En plein jour
Au beau milieu de la route
J´ai trouvé
La frontière.
Qu´y avait-elle
Perdu?